Die Rechtsgrundlage für virtuelle Hauptverhandlungen besteht schon seit Langem, dennoch werden sie wenig genutzt. Anwälte befürworten digitale Vernehmungen zwar prinzipiell, doch es kommt auch auf das Rechtsgebiet an. Die größte Hürde in der Praxis ist die Verfügbarkeit von geeigneter Hardware in Gerichtssälen.

Der Verleumdungsprozess zwischen Schauspieler Johnny Depp und seiner Ex-Ehefrau und Schauspielerin Amber Heard war eine der medienträchtigsten Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre. Sie wurde auf sämtlichen sozialen Medien gestreamt und hatte einige skurrile Momente.

Einer dieser Momente war die Zeugenaussage von Alejandro Romero, einem Rezeptionisten in Depps Apartmentgebäude. Romero wurde per Videokamera zugeschaltet und beantwortete die Fragen der Anwälte mit der E-Zigarette in der Hand aus seinem Auto.

Tatsächlich wurde Romero jedoch nicht als Unterhaltungsgast eingeladen, sondern für eine rechtlich verbindliche Zeugenaussage.

Rechtsgrundlage für digitale Gerichtsverhandlungen

Zeugenvernehmungen per Video-Call sind auch in Deutschland seit der Corona-Pandemie keine Seltenheit mehr. Die Rechtsgrundlage dafür gab es jedoch schon lange vorher.

Seit 2002 können Gerichte den Prozessbeteiligten gestatten, sich per Bild- und Tonübertragung zuzuschalten. Seit einer Reform der § 128a Abs. 1 und 2 sowie § 185 Abs. 1a GVG im Jahr 2013 bedarf es dafür nicht einmal mehr der Zustimmung anderer Prozessbeteiligter.

Bezüglich der Form einer solchen Online-Verhandlung gibt es keine besonderen Anforderungen. Es muss lediglich sichergestellt sein, dass die Online-Teilnehmer alle anderen Teilnehmer im Raum jederzeit sehen und hören können und umgekehrt alle Präsenzteilnehmer die Online-Teilnehmer jederzeit hören und sehen können.

Außerdem muss sich das Gericht selbst in voller Besetzung im Gerichtssaal aufhalten.

Digitale Hauptverhandlung: Zivilprozesse vs. Strafprozesse

§ 128a ZPO gilt für sämtliche Verhand­lungen im Anwendungs­bereich der Zivilprozessordnung.

Bei Strafprozessen kommen Videovernehmungen ebenfalls zum Einsatz, hier ist die Anwendung jedoch umstritten. So könnte es beispielsweise bei Sexualstraftaten eine Belastung für die Opfer sein, wenn die Zeugenaussage aufgenommen würde.

In Zivilverfahren spreche nichts dagegen, alles, womit die Parteien einverstanden seien, digital zu machen, sagte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Katrin Helling-Plahr. Bei Strafverhandlungen sei es ihrer Aussage nach womöglich etwas komplizierter.

Um Klarheit zu schaffen, kündigte Bundesjustizminister Buschmann Anfang 2022 einen Gesetzesentwurf an. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung heißt es:

„Wir machen Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher, ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden. Vernehmungen und Hauptverhandlung müssen in Bild und Ton aufgezeichnet werden."

Anwälte sprechen sich prinzipiell für digitale Hauptverhandlungen aus

Die Anwaltschaft spricht sich mehrheitlich für digitale Hauptverhandlungen aus. Laut einer Befragung der Webseite anwalt.de halten 58 Prozent der befragten Anwälte Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz für sinnvoll.

Es kommt jedoch auf das Rechtsgebiet an: Während fast alle Anwälte im Bank- und Kapitalmarktrecht digitale Vernehmungen befürworten, halten 90 Prozent der Befragten digitale Verfahren im Strafrecht nicht für sinnvoll.

Quelle: anwalt.de

Prinzipiell kann man sagen, dass digitale Vernehmungen umso sinnvoller sind, je mehr wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen - beispielsweise bei einer Anhörung in einem Bußgeldverfahren. Bei persönlichen Konflikten wie Gewaltstraftaten sind sie hingegen weniger sinnvoll.

Vor- und Nachteile digitaler Hauptverhandlungen

Der Vorteil von Vernehmungen per Videokonferenz sind schnellere Verfahren, einfache grenzüberschreitende Vernehmungen und sie reduzieren die Hemmschwellen für Zeugen, überhaupt eine Zeugenaussage abzulegen.

Zudem reduzieren sie den CO2-Fußabdruck von Gerichtsprozessen und Säumnislagen können vermieden werden, weil keine Fahrtkosten anfallen und auf anwalt­licher Seite kein Zeitverlust eintritt.

Der Nachteil ist, dass im Gegensatz zur persönlichen Vernehmung der unmittelbare Eindruck des Zeugen nicht im gleichen Maße aufgenommen werden kann.

Hardware bleibt Herausforderung für digitale Hauptverhandlungen

Obwohl die Mehrheit der Anwälte digitale Verfahren prinzipiell für richtig hält, gehen knapp zwei Drittel der von anwalt.de befragten Anwälte nicht davon aus, dass Videokonferenzen in den nächsten fünf Jahren standardmäßig zum Einsatz kommen.

Quelle: anwalt.de

Nur zehn Prozent der Befragten haben bereits an einer Gerichtsverhandlung mit digitalen Vernehmungen teilgenommen.

Das Problem ist hierbei nicht die Rechtsgrundlage, sondern die Technik: Vielerorts fehlt die notwendige Hardware in ausreichender Zahl.

In puncto Software kommen häufig gängige Cloud-Lösungen wie Zoom oder Microsoft Teams zum Einsatz. Prinzipiell sind diese Lösungen zulässig, doch spezialisierte Lösungen können einen deutlich umfangreicheren Funktionsumfang bieten.

FOM-Software für digitale Hauptverhandlungen

FOMs können die nötige Struktur für Gerichtsverhandlungen schaffen.

  • Agendavorlagen können durch verschiedene Prozessabläufe führen.
  • Präsentationstools ermöglichen das Zeigen von Grafiken, Tabellen oder Beweismitteln.
  • Automatisierte Protokolle erleichtern die Nachbereitung.
  • Die Qualität der Internetverbindung der Teilnehmer wird dokumentiert, sodass im Nachgang niemand unberechtigt behaupten kann, er hätte aus technischen Gründen nicht am Prozess teilnehmen können.

Oft lässt sich FOM-Software auch in gängige Video-Call-Software wie Zoom integrieren. Dadurch wird den Anwendern – vor allem den Zeugen – die Handhabe erleichtert, da sie sich mit ihrer gewohnten Software einwählen können.

Die Softwareanforderungen können Gerichte mit FOM-Software relativ leicht erfüllen. Die rechtliche Grundlage besteht ebenfalls. Einzig die Ausstattung der Gerichte mit der nötigen Hardware stellt für die digitale Hauptverhandlung noch ein Hindernis dar.